Liebe Leser! Hier eine alte Predigt zur Fastenzeit.
Predigt in der Deutschen Kirche Helsinki am 19.2.2006
(Sexagesimae)
Lieder: 445: 1-4, 196: 1-4, 197, 372: 1-4
Predigttext: 2. Korintherbrief 12:1-10
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext zu diesem 2. Sonntag vor der Passionszeit steht geschrieben
im 2. Korintherbrief, im 12. Kapitel:
1 Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen
auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. 2 Ich kenne einen Menschen
in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht;
oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -da
wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. 3 Und ich kenne denselben
Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott
weiß es -, 4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche
Worte, die kein Mensch sagen kann. 5 Für denselben will ich mich rühmen;
für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6
Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die
Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher
achte, als er an mir sieht oder von mir hört. 7 Und damit ich mich wegen der
hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch,
nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich
nicht überhebe. 8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von
mir weiche. 9 Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen;
denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am
allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.
10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in
Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so
bin ich stark.
Der große und gleich berüchtigte deutscher Denker Friedrich Nietzsche
behauptete, dass die Schwäche und Unterwürfligkeit die Merkmale des
Christentums seien. Der Christ sei wie eine orientalische Frau, die von ihrem
Herrn nur Hiebe erwartet und wenn sie versetzt werden, winselt sie im geheimen
vor Vergnügen, und will mehr Schläge bekommen. Er schreibt in seinem Werk „Der
Antichrist“ in folgender Weise:
„Man soll das Christentum nicht
schmücken und herausputzen: es hat einen Todkrieg gegen diesen höheren
Typus Mensch gemacht, es hat alle Grundinstinkte dieses Typus in Bann getan, es
hat aus diesen Instinkten das Böse, den Bösen herausdestilliert: - der
starke Mensch als der typisch Verwerfliche, der "verworfene Mensch".
Das Christentum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missratnen genommen,
es hat ein Ideal aus dem Widerspruch gegen die Erhaltungs-Instinkte des
starken Lebens gemacht; es hat die Vernunft selbst der geistig stärksten
Naturen verdorben, indem es die obersten der Geistigkeit als sündhaft, als
irreführend, als Versuchungen empfinden lehrte.“
Der große Denker teilt die Menschheit zu starken und schwachen. Die starken
können sich ihre Triebe und Fähigkeiten frei entfalten dank ihrer tierischen
Kraft und Schonungslosigkeit, die schwachen dagegen brauchen Familien,
Gewerkschaften, Parteien oder sogar die Kirche um im Lebenskampf zu überstehen.
Schleift man die gröbsten Kanten dieses Gedankeguts ab, bekommt man doch
ein recht modernes Menschenbild. Also Mensch, der sich immer durchsetzt, der
immer das Feinste für sich nimmt, ohne zu denken, was das für ihn oder für
seine Umgebung kostet.
In einer Zeit der Macher, der Ichbesessenen und Helden der
Reality-Serien, spricht unser heutiger Predigttext über völlig andere Werte. Er
plädiert für die Schwachheit. Warum das? Die menschliche Schwäche spielt für
den Glauben eine wichtige Rolle. Die Rolle der Schwäche ist ganz vielfältig und
zieht sich durch die Evangelien und die Briefe der Apostel hindurch. ''Ich
bin gekommen, die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.'' sagt Jesus nach
Matthäus.
Jesus ruft die Schwachen. Die Tür zum Reich Gottes öffnet sich für all
diejenigen Menschen, die ihre Verlorenheit ohne Gott erkennen. Die starken
sehen das nicht ein, weil sie nicht zerbrochen sind. Bei Matthäus steht auch
geschrieben: ''Kommt alle her, die ihr mühselig und beladen seid.'' oder
- ''Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht
ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind,
der ist der Größte im Himmelreich.''
Schauen wir unseren heutigen Text genauer an: worum geht es eigentlich bei
diesem Lob der Schwäche?
Der Apostel Paulus
war ein ''starker Typ.'' Mit einer unendlichen Energie hat er seine Ziele
verfolgt. Er ist für seine Überzeugungen eingetreten, war gebildet und ist so
in der jüdischen Karriereleiter weit emporgestiegen: er hatte den offiziellen
Auftrag, die Christen zu verfolgen und zu erledigen - ein Auftrag, den ihm sein
Eifer gegen die Christen eingebracht hatte.
Dieser Paulus hat nach seiner Bekehrung auf dem Wege zu Damaskus mit
demselben Eifer Jesus Christus, den Auferstandenen und lebendigen Jesus, unter
den Menschen im Mittelmeerraum bekannt gemacht. Von Ort zu Ort ist er gezogen
in vielen Missionsreisen, um Menschen zu Jesus zu bringen, um zum Glauben
einzuladen! Er ist ein Macher, er ist was.
In heutigem Predigttext beschreibt Paulus einige Erfahrungen seines Lebens.
In dritter Person spricht er über sich selbst und beschildert seine geistlichen Höhenflüge, als
er entrückt wurde, und etwas unbeschreibliches und herrliches erlebte und
unaussprechliche Worte entnahm.
Andererseits beschreibt er die tiefen Täler seines Glaubenslebens, indem er
sagt: „Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir
gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten
schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.“
Er leidet also unter etwas, worüber wir nichts erfahren können. Wir wissen,
dass viele Gläubige sind eben wegen eines Pfahles, wegen Krankheiten
oder Sprüngen, die den betroffenen belästigen.
Paulus hat zwei Ziele: erstens will er die Gemeinde in Korinth erziehen und
zweitens will er etwas grundlegendes über Glauben an Jesus Christus berichten.
Paulus hatte die Gemeinde in Korinth gegründet. Dann waren christliche
Verkündiger aufgetaucht, die anders predigten und gegen Paulus intrigierten.
Sie behaupteten die besseren Christen zu sein. Sie nehmen für sich in Anspruch,
mehr bieten zu können: mehr Offenbarungen, mehr Zeichen, mehr Wunder. Sie
rühmten sich ihrer Redekunst und ihrer Beliebtheit.
Paulus muss
diese Sachlage "gewurmt" haben, denn er kommt in seinem Brief sehr
ausführlich auf das Thema "rühmen" zu sprechen. Zuerst sieht es so
aus, als wolle er sich rechtfertigen. Es ist nämlich keineswegs so, dass er
nichts vorzuweisen hätte. Dazu hat er schon viel zu viel durchgemacht. Denn er
war es ja, der im Dienste seines Herrn Jesus pausenlos unterwegs war. Auf
seinen Wegen ist ihm vieles widerfahren. Meistens aber waren seine Erlebnisse
schwere und schmerzhafte Erfahrungen, von denen er eine ganze Reihe aufzählt:
Er hat im Gefängnis gesessen für die Botschaft vom Kreuz Christi, die er
unermüdlich verbreitete. Er ist fünfmal zu Prügelstrafen verurteilt worden; einmal
wurde er sogar gesteinigt. Seine langen Reisen haben ihn mehrfach in große
Gefahr gebracht, ja, er hat sogar Schiffbruch erlitten.
Er durfte also zu Recht sagen: Es ist ein
ziemliches Wunder, dass ich das alles überstanden habe und noch lebe. Er ist ein Macher, er ist
was.
In diesem Briefabschnitt an die Korinther macht Paulus sich selbst zum
Narren, um den Gegnern den Spiegel vorzuhalten. Er lobt sich selbst ironisch in
dritter und erster Person, bläht sich auf und schrumpft zusammen, aber seine Devise
lautet letztlich: „Wer sein Evangelium mit Imponiergehabe und Eigenlob
durchsetzen muss, der macht das Evangelium lächerlich. Gottes Reich wird nicht
mit Getöse und Paukenschlag verkündigt.
Das zweite Ziel ist etwas erbauliches, wenn er sagt: „Denn wenn ich schwach
bin, so bin ich stark.“ Doch wir müssen genau hinsehen - es geht nicht um die
Schwäche an sich, nicht um eine Verherrlichung der Schwäche! Paulus wird
inmitten seiner Stärke und seiner Schwachheit von Gott gelehrt: ''Lass dir an
meiner Gnade genügen...''. Dieser eine Satz stellt alles Ringen um
Gerechtigkeit, allen Einsatz für Gott, alle menschliche Stärke und Leistung
''auf die Füße'': Es ist Gottes unverdiente Gnade und Zuwendung, aus der heraus
ein Mensch vor Gott gerecht wird und aus der heraus wir Gottes Liebe und
Zuwendung empfangen.
Nicht die Leistung und Stärke sind das Fundament der Beziehung und Annahme
Gottes, sondern Gott wendet sich uns zu in unserer Schwäche, in unserer ganz
spezifischen Art mit unseren Stärken und unserem Versagen! Er selbst spricht
uns gerecht ''in Christus.''
Wo ein Mensch in und mit seiner
Schwachheit leben kann und nicht daran zerbricht, da in Wahrheit zeigt sich,
dass er aus Gnade lebt. Das ist genug, alles darüber hinaus ist törichtes
Selbstlob.
Auch heute noch ist die Schwäche und demütig
getragene Ohnmacht der Christen die bessere Werbung für die Sache ihres Herrn!
Wir gewinnen weitaus mehr Menschen für ihn, wenn wir auf Macht und Einfluss
verzichten, nicht jeden Spaß mitmachen und nicht immer auf der Seite der
Stärkeren stehen. Da haben sich schon genügend Menschen dieser Zeit
eingerichtet. Da kann nicht unser Platz sein.
Und der
Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus.